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Sieben neue Songs von Depeche Mode im Schnelldurchlauf
Montag, 4. Juli, 17.27 Uhr in London. Ein kurzer Handschlag von Mute-Chef Daniel Miller und schon geht es weiter, tiefer hinein in das, was von außen wie ein normales englisches Haus aussieht. De facto ist es aber einer dieser Privatclubs, von denen wir Leute von der Straße immer nur in den Klatschblättern lesen dürfen, wenn sich Boris Becker mal wieder ein Kind andrehen lässt (gut, das war in einem High-End-Restaurant, aber ihr wisst, was gemeint ist) oder ein Banker wegen Internationaler Geld-whatever-Geschäfte in action festgenommen wird. Heute ist die untere Etage dieses aufreizend schön gestalteten Clubs (eine harmonische Mischung aus britischem Konservatismus und griechisch inspirierter Innenarchitektur und Kunst) in den Händen der wichtigsten Band der Welt - nein, nicht Kiss, ich spreche von: Depeche Mode.
Miller weiß um die Anspannung der Anwesenden - Journalisten, die zu Depeche Mode anreisen, sind immer etwas näher am Wasser gebaut als bei jedem anderen Thema; von den ansonsten anwesenden Plattenfirmenangestellten wollen wir mal gar nicht reden: This is a fans world, durch und durch - und hält seinen Vortrag dementsprechend kurz. Das Album wird 'Playing the angel' heißen, am 17.10. erscheinen und nun gibt es weltexklusiv zum ersten mal sieben Stücke davon zu hören (neben Intro sind aus Deutschland nur die, ähm, Bild am Sonntag und das ZDF geladen…) - leider nur ungemastert. Ein Fakt, der Miller, dem alten Perfektionisten, sichtlich nicht schmeckt - aber anders geht es eben nicht, denn mit der für Januar terminierten Tour und dem Plattenrelease ist die Depeche Mode-Machine einmal mehr angelaufen, vier Jahre und ein paar zerquetschte Monate nach 'Exciter', und will sowas von gefüttert werden.
Und eins ist nach dieser bombastischen Listening Session, sowohl was die Rahmenbedingungen angeht (Das Album wurde auf einer unglaublich lauten PA vorgespielt - ich befürchte ja immer schon halb taub zu sein, bin aber seid gestern beruhigt, denn lauter hätte ich die Session nicht erleben wollen) als auch inhaltlich, klar, nichts kann die DM-Maschine aufhalten: 'Playing the angel' ist ein dunkles, gewaltig rockendes Album geworden, das textlich in den unendlichen Abgründen der menschlichen Existenz wühlt und sich dabei von Industrial bis zeitgenössischer Elektronik-Avantgarde musikalisch bedient, letztlich aber immer zu jener Eigenständigkeit kommt, wie man sie von Depeche Mode seit 25 Jahren kennt.
Also: Hier sind die ersten harten Fakten. Nach einmaligen Hören. Meint: Bitte nicht steinigen, wenn das später etwas anders gefühlt wird.
1. 'Precious'
Wird die erste Single. Und zu Recht. Der Song funktioniert schon beim ersten Hören. Sehr homogen, in sich geschlossen im Ganzen, in kurzen Momenten aber auch mit jener Freigeistigkeit, die sich Depeche Mode immer leisten. Beispielsweise das kürzeste Melodiefragment ever: Der Klavier-Synthie wird nur mal kurz angetippt und trotzdem haut es hin mit der Catchyness und Signifikanz. Mich persönlich erinnert das Stück etwas an ihre 'Black Celebration'-Phase, aber auch 'Violator'-Erinnerungen kommen auf. Der Pathos kommt auch nicht zu kurz, Textzitat: "If god had a masterplan..." - es wird also gleich mal gehadert… Als das Stück zum Ende der Listening Session noch mal läuft, wird fast schon mitgetanzt. Feuerprobe bestanden. Das Wort Klassiker fällt rechts und links von mir.
2. 'The Sinner in me'
Sehr dunkles, industrialartiges Stück, das auch von Nine Inch Nails kommen könnte - nun ja, bis eben der Gesang einsetzt. Die Italofraktion unter den anwesenden britischen Kollegen zittert etwas angesichts zuviel Harschheit. Es geht einmal mehr um Leid und Schmerz: "... still recover, still go over all the suffering..." (für alle Textzitate gilt übrigens wie beim Lotto: sowas von keine Gewähr). Zum Ende entschwindet das Stück passenderweise im digitalen Rauschen und Knistern.
3. 'Suffer Well'
Und wieder wird gelitten - auch wenn ich erst sehr freudianisch verhört 'Suffer Weil' verstanden habe. Später wird Gahan, passend zum Flow der ersten drei Stücke des Albums, von einer der dunkelsten Depeche Mode-Platten sprechen. Dieser Song, ein sehr starker, kraftvoller, sich hymnisch aufbauender, kommt übrigens von ihm, wie ein weiterer dieser Listening Session und insgesamt drei auf dem finalen Album (das - soviel an dieser Stelle schon mal - Ende der Woche fertig gestellt sein wird). Das Stück endet mit einem überraschenden HipHop-Scratching von Noisesounds. Einmal mehr eines dieser ambitionierten, zuerst verblüffenden, dann sinnstiftenden kleinen Elemente, die die Band so gut drauf hat.
4. 'Macrovision'
"...Overflowing senses... I hear my blood flow…" Passend zu diesem kurzen Zitat ist zu Beginn des Stücks nur die Stimme präsent. Eindringlich, alles auf sich ziehend - und als dann die Wall of Sound sich an ihre Seite stellt, wird sie es noch immer sein, die das Stück nach oben führt. Trotzdem: Schwieriges Stück beim ersten Hören, irgendwie haftet ihm etwas Prätentiöses an, ein Gefühl, das aber letztlich doch von der mitreißenden Melancholie wegradiert wird.
5. 'John the Revelator'
Eins dieser Stücke, das schon nach Sekunden funktioniert, sich gar nicht erst groß vorstellen muss, sondern den Raum betritt und als bekannt vorausgesetzt werden kann. Der leitende 80er-Synthie-Sound erinnert leicht verblichen an 'Space Invaders Are Smoking Grass' von I-F, und ist das ideale Leitmotiv für ein Stück, das das Beste aus den Welten Rock und Elektronik zu vermengen vermag. Potentielle Single. Sage ich.
6. 'I want it all'
Das zweite Stück von Gahan bei dieser Session. Und so far für mich das Unspannendste. Eine Ballade und dementsprechend sehr auf seine Stimme hin produziert, die mit aller Präsenz der Welt gesegnet über einen Teppich aus Click-Geräuschen erzählt. Zum Ende übernehmen dann peu a peu die Sounds das Stück, malmend, scheppernd wie der Koloss im 'Army of me'-Videoclip von Björk. Viktor Worms vom ZDF fand es super.
7. 'A Pain that I´m used to'
Das Stück fängt mit einer verstörenden Gesangslinie an, die in ihrem Duktus eher an Italo-Pop-House-Gesang erinnert als an Depeche Mode. Doch spätestens wenn die erhabene Melodie über die Dunkelheit der Worte steigt, der pathetische Ausbruch sich ankündigt, dann bricht das Stück zurück in die Welt, in die es eigentlich gehört. Vielleicht bislang das Stück mit der besten Dramaturgie auf dem Album. Für mich wieder eine potentielle Single.
Fazit: Siehe oben. Ein Album wie ein lustvoller Schlag ins Gesicht - sozusagen das 'Fight Club'-Album von Depeche Mode. Ausweichen ist hier nicht drin.
Mehr News aus dem Munde der drei Jungs sowie die ein oder andere nette Anekdote vom anschließenden Grillen mit der Band gibt es hier in Kürze, genauso wie jede Menge Fotos - dran bleiben lohnt sich also.
Quelle:
www.intro.de